Energieversorgungssicherheit

Energiezellen: Versorgungssicherheit statt Blackout

Nicht nur im deutschen Stromnetz, sondern im gesamten europäischen Verbundsystem muss in jeder Sekunde genau so viel Strom zur Verfügung stehen, wie auch verbraucht wird. Im anderen Fall droht der Zusammenbruch der Stromversorgung, denn das System gerät aus dem Takt.

Dieses Phänomen ist auch bekannt unter den Stichworten 50-Hertz-Problem oder Blackout. Unter Blackout ist ein flächendeckender, deutschland- oder sogar europaweiter Stromausfall gemeint, der länger andauert.1

Nachfolgend geht es um diese Fragen:

Wie sicher ist die deutsche Stromversorgung?

Aktuell ist das deutsche Stromnetz und damit die Stromversorgung sehr sicher. Ausfallzeiten bewegen sich im Minutenbereich (Stand 2023)2. Der Aufwand, das Stromnetz stabil zu halten, steigt jedoch rasant3. Der Grund: Eine starke Zunahme an Einspeise- und Bezugsleistung, etwa durch Photovoltaik- und Windanlagen, Wärmepumpen und Elektromobilität. Gleichzeitig schreitet die Ertüchtigung der Stromnetze nicht schnell genug voran. Das Ergebnis: Von 2013 bis 2022 stieg das Maßnahmenvolumen in Deutschland im Bereich Engpass-Management bei den Stromnetzen um mehr als 1100 Prozent an4. Die Kosten dafür wiederum tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Hinzu kommt die Gefahr eines Blackouts.

Wie wird eine sichere Stromversorgung gewährleistet?

Damit das europäische Stromnetz stabil läuft, ist die wichtigste Kennzahl die Netzfrequenz, die in Europa bei 50 Hertz liegt. Abweichungen von dieser Frequenz sind nur in engen Grenzen erlaubt, sonst kann es zu einem Blackout kommen. Hinzu kommt das Problem der sogenannten transienten Stabilität (Polradwinkelstabilität*). Für die Polradwinkelstabilität spielen traditionell die Kohlekraftwerke mit ihren riesigen, rotierenden Stromgeneratoren eine große Rolle. Diese aber sollen bald vom Netz gehen.5

Um auf Abweichungen schnell reagieren zu können, wird die Netzfrequenz europaweit rund um die Uhr überwacht. Werden die 50 Hertz über- oder unterschritten, treten Maßnahmen in Kraft, um die Netzfrequenz wieder auf den richtigen Wert zu bringen. Die derzeitige Netzfrequenz, in Echtzeit gemessen, finden Sie hier: Netzfrequenz. Eine Karte des europäischen Strom-Verbundsystems finden Sie bei ENTSO-E. Die aktuellen Phasenwinkel-Abweichungen im europäischen Stromsystem kann man in Echtzeit auf dieser Seite beobachten.

Nachfolgendes Video der schweizerischen Netzüberwachungsbehörde Swissgrid zeigt, mit welchen Maßnahmen Netzbetreiber europaweit die Netzfrequenz stabil halten.

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Wie ist das Stromnetz aufgebaut?

Das Stromnetz besteht aus unterschiedlichen Netzebenen, die in der Grafik zu sehen sind.

Durch die Energiewende wird die Zahl sowohl der Stromerzeuger als auch der Stromverbraucher auf den unteren Netzebenen stark erhöhen. Dadurch wiederum erfolgt dort eine massive Zunahme an Einspeise- und Bezugsleistung, zum Beispiel durch Photovoltaik- und Windanlagen, Wärmepumpen und Elektromobilität (Grafik: Verband kommunaler Unternehmen e.V., 2012).

Derzeit sind die Stromnetze für diese Anforderungen nicht ausgelegt (Stand 2023).

Das deutsche Stromnetz und seine sieben Netzebenen.

Wie sieht die künftige Netzbelastungssituation aus?

Eine Studie des Bundestages6 befasst sich damit, wie wahrscheinlich Blackouts künftig sein werden, wenn ein Großteil des Energiebedarfs für die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr aus erneuerbaren Quellen stammt.

Ein Gutachten7 zu dieser Studie stellt auf S. 183 ff fest: „Während der Nachfragebedarf der konventionellen Verbraucher zurückgeht, nimmt die installierte Leistung sonstiger Stromverbraucher wie Wärmepumpen, E-Fahrzeuge und Power-to-Gas-Anlagen über die Jahre stetig zu. Es zeigt sich, dass der absehbare Netzausbau nicht in der Lage sein wird, diese Entwicklung aufzufangen. Dies verdeutlicht insbesondere die Netzbelastungssituation in 2031.“

Im März 2024 kam der neue Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur heraus, in dem weitere neue Leitungen gefordert werden, wiewohl der Netzausbau ohnehin erheblich hinterherhinkt.8 „Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6 000 Kilometer.“ (Stand März 2024)9 Einen guten Überblick zum aktuellen Stand des Netzausbaus gibt es hier: Netzausbau: Übersicht über die Vorhaben und hier Netzausbau: Kartenübersicht.

Wie können die Stromnetze entlastet werden?

Das Fazit: Nur wenn eine Vielzahl von Maßnahmen mit Blick auf die Stromversorgung ergriffen werden, ist diese gesichert. Auch die Marktmodelle müssen sich ändern.10 Alles, was an kostengünstigen Maßnahmen sinnvoll ist, um die Netze zu entlasten, und ein Blackout zu verhindern, findet sich im Konzept der Energiezelle*:

  • Entschwendung*
  • Energie möglichst effektiv nutzen
  • Energie dort erzeugen, wo sie benötigt wird
  • Energie möglichst dann nutzen, wenn sie entsteht
  • Aufbau von lokalen Energiespeichern und Energielagern, um Energie in Zeiten eines Überangebots zu „parken“ und Reserven zu haben, wenn Strom aus Sonne, Wind und Wasser nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht.
  • Schaffung kleiner, autarker Einheiten in Form von Energiezellen, die nicht nur inselfähig sind, sondern auch einen Beitrag zur Netzstabilität leisten können. Die Stichworte sind hier „Micro Grid“11 „Smart Grid“12, „Virtuelle Kraftwerke“13 und Energy Sharing14 15.

Wie wahrscheinlich ist ein Blackout?

Wie wahrscheinlich ein Blackout im Stromnetz der Zukunft ist, kann niemand seriös beziffern. Dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle und entscheidend ist jeweils, welche Annahmen, Modelle und Szenarien unterstellt werden. Entsprechend uneinheitlich sind die Studien.16

Einigkeit gibt es nur in zwei Punkten: Ausschließen kann man einen Blackout nie. Und: Ein großflächiger Blackout hätte katastrophale Folgen17. Diese wurden vom Autor Marc Elsberg in seinem Thriller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ sehr anschaulich beschrieben. Er verwendete als Grundlage eine Studie im Auftrag des Bundestages zu diesem Thema.18

Aufgrund der Realitätsnähe seines Werks, war der Autor 2012 sogar zu einer Lesung in der Bundesnetzagentur in Bonn geladen, der obersten Aufsichtsbehörde über die deutschen Stromnetze.19 Fest steht außerdem, dass die Anforderungen an die Stromnetze künftig stark steigen20.

Wie sehen die Stromnetze der Zukunft aus?

1. Stromnetz der Zukunft: Ein Markt der vielen Millionen Stromerzeuger

Bereits heute und im Stromnetz der Zukunft noch viel mehr, treten an die Stelle von einer überschaubaren Anzahl an Großkraftwerken eine Vielzahl kleiner, dezentraler Anlagen in Form etwa von privaten und gewerblichen Photovoltaik- und Biogas-Anlagen oder Windrädern. Dies führt zu vollkommen neuen Herausforderungen mit Blick auf die Überwachung und Steuerung der Netze. Es ist nicht nur zu erwarten, dass künftig mehr Knotenpunkte, Transformatoren und Leitungen an ihre Grenzen kommen werden (Netzengpässe). Es geht ab jetzt zudem um eine kleinteilige Überwachung der Netze auch auf den unteren Ebenen sowie eine intelligente Verteilung von Stromflüssen auf Verbraucherebene: Gibt es an einer Stelle einen Stromüberschuss, gilt es diesen netzdienlich dorthin zu leiten, wo er auf lokaler Ebene verbraucht oder gespeichert werden kann.

2. Neue technische Anforderungen an die Stromnetze

Daraus folgen vollkommen neue technische Anforderungen an die Stromnetze und somit an die Netzbetreiber* und Messstellenbetreiber: Das elektrische Netz der Zukunft kann nur dann stabil betrieben werden, wenn künftig und anders als bisher Frequenz, Spannung und thermische Belastung (Strom) im erforderlichen Maße und auf allen Netzebenen (besser) kontrollierbar sind. Hinzu kommt das Problem der oben beschriebenen transienten Stabilität (Polradwinkelstabilität*).

3. Zahl der Stromverbraucher steigt signifikant

Nicht nur die Anzahl der Stromerzeuger, sondern auch der Stromverbraucher steigen signifikant, denn zu den bekannten Verbrauchern kommen etwa eine steigende Zahl von E-Autos und Wärmepumpen sowie Anlagen zur Herstellung von grünem Gas. Hier lautet das Stichwort Sektorenkopplung21: Fossile Energieträger werden, wo immer möglich, durch Strom ersetzt, der möglichst regenerativ erzeugt wurde. Strom, Wärme und Mobilität werden dabei zusammen gedacht. Durch die Sektorenkopplung sinkt zwar der Gesamtenergieverbrauch, bezogen auf die Primärenergie*. Der Stromverbrauch wird dadurch jedoch steigen und infolgedessen die Belastung der Netze, so dass Netzengpässe nicht nur auf Ebene der Hoch- und Höchstspannungsleitungen, sondern auch auf den unteren Ebenen zu erwarten sind oder aktuell schon existieren.

4. Was tun mit zu viel Strom?

Die Abhängigkeiten der Energieversorgung vom Wetter erhöht sich enorm. Man spricht hier von einer volatilen oder fluktuierenden, also schwankenden Energieerzeugung, denn Sonne und Wind stehen nicht immer in gleichem Maße zur Verfügung. Einerseits ermöglicht dieses gelegentliche Überangebot an Strom, diesen ins Ausland zu exportieren. Zugleich ist das Abregeln etwa von Windkraftanlagen, um eine Überlastung der Stromnetze zu vermeiden, heute schon üblich, während Deutschland weiterhin auch auf Energieimporte aus dem Ausland angewiesen bleibt. Eine Lösung besteht unter anderem in der Schaffung von regionalen Energielagern und Energiespeichern, die dann auch bei Stromlücken genutzt werden können.

Aktuell erschweren politische Rahmenbedingungen, dass sich der Aufbau von Speichern in Form von Pumpspeicherwerken oder größeren Quartiersspeichern langfristig lohnt22 23. Hilfreich könnte unter anderem eine Reform des Strommarktes sein, die es einzelnen ermöglicht, Strom auch vom Nachbarn, d.h. in der Region zu kaufen.15 Hier lautet ein bekanntes Stichwort Energy Sharing14 26.

5. Was tun bei zu wenig Strom?

Eine volatile Stromerzeugung kann jedoch nicht nur zu einem „zu viel“ an Strom führen, sondern auch zu einem „zu wenig“. Steigt der Strombedarf künftig, steigt das Risiko von Stromlücken: Dies gilt zum Beispiel für den Fall einer mehrwöchigen trockenen Dunkelflaute bei sehr tiefen Temperaturen und anderen Extremwettersituationen. Man spricht in diesem Fall von einer ungedeckten Residuallast, denn Energie aus erneuerbaren Energien und Speichern steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Dies macht den Aufbau von weiteren Reserven notwendig.

Quellen:

  1. https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/stromausfall-blackout-2129818 ↩︎
  2. Daten der Bundesnetzagentur: Zahl der Versorgungsunterbrechungen, die eine Dauer von über drei Minuten haben. ↩︎
  3. „Im Jahr 2011 lagen sie bei 41 Millionen Euro, im Jahr 2018 hingegen bei 351 Millionen Euro.“, s. https://www.next-kraftwerke.de/energie-blog/vorteile-nachteile-redispatch-markt ↩︎
  4. Redispatch im deutschen Stromsystem – Hintergründe, Kostenverteilung, Emissionen
    2023_09_FOES_Redispatch.pdf ↩︎
  5. Studie zum beschleunigten Kohleausstieg der vier Netzbetreiber (Amprion, 50 Hertz, Tennet, Transnet BW), Stand: September 2023 ↩︎
  6. Versorgungssicherheit Strom Bericht 2022. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. 15.02.2023 Download (PDF, 10 MB). ↩︎
  7. Gutachten für den Monitoringbericht 2022 zur Versorgungssicherheit mit Strom gem. § 63 EnWG-E, Download als PDF ↩︎
  8. https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/20240301_NEP.html ↩︎
  9. Sonderbericht des Bundesrechnungshofes zum Thema „Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“ vom 7.3.2024 (s. Seite 7) ↩︎
  10. https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/20231201_EckpunkteNetzkosten.html ↩︎
  11. https://www.dke.de/de/arbeitsfelder/energy/microgrids ↩︎
  12. https://www.vde.com/de/etg/arbeitsgebiete/informationen/smartgrid-microgrid ↩︎
  13. https://www.next-kraftwerke.de/wissen/virtuelles-kraftwerk ↩︎
  14. https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/eckpunkte-eines-energy-sharing-modells ↩︎
  15. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/strommarkt-stromleitungen-plusminus-100.html ↩︎
  16. Analyse der Versorgungssicherheit bis 2030. Trends und Szenarien im deutschen Stromsektor. Im Auftrag von: Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e.V. September 2022. ↩︎
  17. Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung. Studie im Auftrag des Bundestages aus dem Jahr 2010. ↩︎
  18. Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung. Studie im Auftrag des Bundestages aus dem Jahr 2010 ↩︎
  19. https://ga.de/bonn/stadt-bonn/blackout-in-der-bonner-bundesnetzagentur_aid-41075243 ↩︎
  20. Studie zum beschleunigten Kohleausstieg der vier Netzbetreiber (Amprion, 50 Hertz, Tennet, Transnet BW), Stand: September 2023 ↩︎
  21. Mehr zum Thema Sektorenkopplung bei Energiesysteme der Zukunft und bei Wärmewende ↩︎
  22. Netzentgeltbelastung für zwischengespeicherten Strom dauerhaft beseitigen. Positionspapier des BVES – Bundesverband Energiespeicher Systeme e.V. (Download als PDF) ↩︎
  23. https://www.pv-magazine.de/2023/11/10/bundestag-beschliesst-verlaengerung-der-netzentgeltbefreiung-fuer-speicher-um-drei-jahre/ ↩︎
  24. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/strommarkt-stromleitungen-plusminus-100.html ↩︎
  25. https://www.bee-ev.de/service/publikationen-medien/beitrag/eckpunkte-eines-energy-sharing-modells ↩︎
  26. https://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/erneuerbare-energie-gemeinschaften-ein-potentieller-schwung-fuer-die-energiewende-a-a86a8a18-e5d8-4288-be26-91664aa3c004 ↩︎